Liebe Gemeinde,
lassen Sie uns einen Christen aus Smyrna beobachten. Er war in der christlichen Versammlung. Wir würden es Gottesdienst oder Bibelstunde nennen.
Er heißt Alexander. Wir sehen ihn, wie er nachdenklich an der Hafenmauer von Smyrna steht. Bevor er nach Hause geht, braucht er noch etwas Zeit zum Nachdenken. Der Abend ist so voll gewesen.
In dem Haus eines Christen haben sie sich getroffen. Sie haben gesungen und gebetet.
Ein Schreiben von Johannes wurde vorgelesen.
Johannes, den sie nach Patmos verbannt haben, hatte dort eine Vision. Ihm ist Christus erschienen und hat ihm Dinge offenbart. In dem Buch, das Johannes aufgeschrieben hat, stehen auch Briefe an die Gemeinden in Kleinasien. So auch ein Brief an die Gemeinde in Smyrna. Ein Schreiben, mit dem Jesus selbst ihnen Mut macht, ihm treu zu bleiben im Glauben.
Da hat ihm gut getan. Vor ein paar Stunden ist er schon mal hier gestanden. Mit anderen Gefühlen. Da war er sich unschlüssig, ob er überhaupt in die Gemeinde gehen soll. Eigentlich hatte er keine Lust.
Sicher, er ist schon einige Jahre Christ und gehört dazu. Er hat auch schon in manch einer Situation den Auferstandenen in seinem Leben erfahren.
Heute aber war es ihm eigentlich zu viel gewesen, er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich, als Hafenarbeiter. Er hätte die Zeit wahrlich auch anders verbringen können. So denkt man ja immer, wenn man nichts erwartet, wenn einem die Gemeinschaft mit den anderen Christen nicht mehr so wichtig ist.
Er ist schon lange dabei. Aber manchmal wird es ihm einfach zu schwer, zu glauben und dabei zu bleiben.
Gerade die letzte Zeit war hart. Sein Leben ist ja schon schwer genug. Harte Arbeit wenig Geld. Um ihn herum blüht das Leben. Die Wirtschaft boomt, hier in dieser schönen reichen Stadt. Es zahlt sich halt aus, zu Rom zu halten.
Daran, das in Smyrna alles gilt, was Rom will, daran bestehen keine Zweifel. Hier wurde der erste Tempel Kleinasiens für die Roma, die Göttin der Stadt Rom, gebaut. Das ist jetzt schon bald 200 Jahre her. Man profitiert von dem Handel im Römischen Reich. Man hat sich in vielem der römischen Lebensart angepasst. Inzwischen hat man sich auch mit den Römern umgestellt und verehrt auch den Kaiser als Gott. Das ist ja auch leichter zu verstehen als der Glaube an die verschiedenen alten Götter. Der Kaiser ist sichtbar und hat riesige Macht. Ist er nicht wirklich ein Gott?
Vielen in der Stadt geht es gut. Aber wie so oft erreicht der Aufschwung nicht alle. Die einfachen Leute wie Alexander haben es schwer.
In der christlichen Gemeinde sind viele, die nicht viel haben.
Und sie stehen unter Druck. Üble Nachreden werden verbreitet. Manches wird erzählt über die Christen.
Bald wird es noch so weit kommen, dass man den Kaiser anbeten muss.
Von den Christen wird man es bestimmt verlangen. Man weiß ja nicht, ob sie wirklich loyal zu Rom stehen, wo sie doch Jesus Christus ihren Herrn und König nennen.
Für die, die nicht glauben, muss das ja komisch klingen: Jesus aus Nazareth ist der Christus, der Messias, den der einzige Gott in die Welt gesandt hat. Er hat als Mensch gelebt, er wurde gekreuzigt und wurde vom Tod auferweckt.
Menschen, die so etwas glauben, kann man doch nicht für voll nehmen. Götter leiden nicht, sie sind mächtig.
Und dann soll man diesem Jesus auch noch nachfolgen und nach seinem Willen handeln im ganzen Leben. Ab und zu mal einem Gott zu opfern, das ist okay, das ist einfacher. Die meisten denken, die Christen übertreiben es doch. Und dann hat er so radikale Dinge gesagt, über Gottvertrauen, über den Umgang mit Geld über Treue und Ehebruch, über Ehrlichkeit und Nächstenliebe. Und dass ein bisschen Gerechtigkeit vor Gott nicht zählt. Das alles gefällt nicht jedem.
So sind die Christen zwar mehr geworden, im Laufe der Jahre, aber sie stehen doch im Abseits.
Zumal die Juden, die doch auch an diesen einen Gott glauben, ja selber sagen, dieser Jesus sei nicht der von Gott Gesandte.
Im Vergleich zu den Christen haben es die Juden hier in Smyrna gut. Es sind viele. Die Römer haben sich, so scheint es, solange sie im Staat nicht auffallen, damit zufriedengegeben, dass sie den römischen Staatskult nicht mitmachen.
Sie sind als Religion anerkannt und haben gewisse Freiheiten.
Manchmal hat Alexander gerade genug davon, als Christ schief angesehen zu werden.
So ist es ihm heute Abend gegangen. Am liebsten wäre er daheim geblieben.
Nun steht er wieder an der Hafenmauer und schaut aufs Meer hinaus. Was da vorgelesen wurde, hat ihn tief berührt, als wäre es für ihn geschrieben worden.
Schon die Einleitung, so geht es ihm durch den Sinn, hat klargemacht, wer das Sagen hat, in der Welt. Christus, der zur Rechten Gottes sitzt, hat alle Macht.
Und er ist nicht fernab. Jesus ist der Erste und der Letzte. Er ist der, der alle Macht hat. Wie hieß es weiter? “Ich weiß, dass ihr unterdrückt werdet und dass ihr arm seid.” Wie gut das tut: “Ich weiß”. Er weiß, wie es uns geht. Er weiß, wie es der Gemeinde geht. Er weiß, wie es den Einzelnen geht. Er kennt, alle Traurigkeit, alle Enttäuschungen, alle Sorgen und Wünsche.
Er weiß, was mein Leben glücklich und unglücklich macht. Er kennt meine Sehnsüchte. Er weiß, wie andere mich behandeln, er weiß, was mir wehtut. Er weiß, warum es mir schwer fällt zu glauben.
Ja, er ist keiner, der nicht mitleiden könnte. Er ist doch Mensch gewesen. Jesus selbst hat ja Angst erlebt. Er hat geweint. Er hat Ablehnung erfahren. Er hat Versuchung erlebt.
Er sagt: “Ich weiß”, wie es Dir geht.
Dieses “ich weiß”, das tat gut.
Manchmal dachte Alexander ja schon, er sollte sich von den düsteren Gedanken über die Lage der Christen im Allgemeinen und von seiner Lage im Besonderen nicht so niederdrücken lassen. Aber es war eben alles nicht zum Fröhlichsein. Er konnte das nicht alles einfach ablegen, so tun als könnte er sich immer freuen.
Hier wurde das alles ernstgenommen. Jesus selbst hatte ja gesagt: Ja ich weiß, so geht es euch.
Und dann kam aber auch die Ergänzung: “Ihr seid arm, aber in Wirklichkeit seid ihr reich.” Aus Gottes Sicht sieht manches anders aus als nach menschlichen Maßstäben.
Ja, denkt Alexander, wir sind reich: Wir haben eine Hoffnung. Wir erwarten das ewige Leben. Wir wissen, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Jesus ist auferstanden und wir werden auferstehen. Wir wissen, dass Gott uns liebt, wir haben keine Gottesvorstellung wie die Heiden, die sich ihre Götter nach ihren Bedürfnissen zurechtschnitzen. Wir leben in Beziehung zu dem lebendigen Gott, der uns wie ein Vater liebt.
Wir wissen, dass wir durch Jesus Vergebung bekommen. Und wer hätte das nicht nötig?
Das macht unser Leben reich.
Man ist vielleicht arm und unterdrückt, aber man ist nicht bei den Verlierern, wenn man dies alles hat. Viele die alles haben, denen der Glaube aber fehlt, die sind arm dran.
Obwohl der Gemeinde Verfolgung angekündigt wurde, kann Alexander jetzt wieder zuversichtlicher sein.
Die Fäden hält Jesus in der Hand. Es gilt in aller Bedrängnis: “Er weiß”.
Und er wird die belohnen, die ihm die Treue halten.
Es hat ihm gut getan heute, mit den anderen Christen zusammen gewesen zu sein. Wie könnte man Glauben bewahren ohne die Gemeinschaft mit anderen Christen? Wo könnte man sonst die Worte Jesu hören und Wegweisung bekommen? Wo sonst sollte man Hilfen bekommen Jesus besser zu verstehen und Anstöße erhalten, ihn mehr zu lieben?
“Leichter wird mein Leben dadurch nicht”, denkt Alexander, aber jetzt ist ihm wieder deutlich, dass es sich lohnt, Jesus treu zu bleiben.
Jetzt kann er wieder aufhören, andere zu beneiden, die es leichter haben als er, denen aber Jesus fehlt.
Ich denke, wir können Alexander verstehen: Am Sinn des Glaubens kann man schon zweifeln. Es gibt so viele Enttäuschungen im Leben. Krankheiten belasten, Leid muss ausgehalten werden. Beziehungen machen mehr Stress als Freude.
Das Leben gelingt nicht einfach, wenn man Christ ist.
Und bei der Mehrheit ist man, wenn man sich zu Christus bekennt, auch nicht mehr. Spott lässt nicht auf sich warten. Man wird herablassend belächelt, wenn man so etwas noch glaubt.
Diese Probleme hatten nicht nur die Christen in Smyrna kurz vor der ersten Christenverfolgung unter Kaiser Domitian
Die Sendschreiben sind an konkrete Gemeinden gerichtet und weisen doch darüber hinaus. Denn bestimmte Probleme, Verhaltensweisen und menschliche Eigenarten gleichen sich immer wieder.
Aber vielleicht kennen Sie ja auch das andere: Beim Hören eines Bibeltextes, beim Beten, in der Gemeinschaft der Christen wird einem wieder der Blick geöffnet, für Gottes Nähe. Wird einem wieder bewusst: „Er weiß“. Er kennt meine Schwierigkeiten. Er weiß, was ich aushalten muss. Er will mir auch die Kraft geben, Schwieriges zu ertragen und treu bei dem zu bleiben, was er geboten hat.
Wo sonst als bei den anderen Christen, könnte man gestärkt werden ihm weiter nachzufolgen?
Beim Lesen der Sendschreiben fragt man sich unwillkürlich:
Was würde er uns schreiben? Was würde er uns als Gemeinde schreiben?
Sicher nicht, dass wir unterdrückt sind.
Aber vielleicht doch, dass wir lernen sollen in den veränderten Verhältnissen, wo der Glaube abnimmt und der Einfluss der Kirche schwindet, unseren Glauben klar zu bekennen.
Sicher würde er uns nicht schreiben, dass wir arm sind. Aber vielleicht dass wir uns nicht an unsere Wünsche nach mehr Besitz, nach Komfort und Wohlergehen und nach Erlebnissen und Abwechslungen verlieren sollen. Und dass wir uns vor Augen stellen sollen, was Christen durch den Glauben geschenkt bekommen.
Macht uns die Freude über die Nähe Gottes, über seine Zusagen, die er den Christen gegeben hat, stark? Überstrahlt die Freude, die wir durch den Glauben an Jesus haben, unser Leben? Gibt sie uns Kraft, die Schwierigkeiten des Lebens gelassen zu ertragen? Und treu ihm nachzufolgen?
In seiner Nähe, im Gebet und durch sein Wort, durch die Gemeinschaft mit anderen Christen, will er uns das immer wieder schenken.
Amen.